Zukunft verbrennen?
Die vorliegende Untersuchung von Tanja Scheelhaase und Christoph Semisch gibt einen Überblick über den aktuellen Stand zu Planung und Bau thermischer Abfallbehandlungsanlagen, insbesondere Ersatzbrennstoffanlagen. Zusätzlich zu den bestehenden 66 traditionellen Müllverbrennungsanlagen sollen über 65 Ersatzbrennstoffkraftwerke (EBS) gebaut werden. Damit steuert der Markt einer Gesamtkapazität von 30 Mio. t für die Verbrennung von Abfällen aus Haushalten und Gewerbe, EBS sowie für industrielle Reststoffe entgegen.
Jede einfache Berechnung könnte den Entscheidungsträgern klarmachen, dass solche Kapazitäten nur mit massiven Abfallimporten von heizwertreichen Fraktionen möglich sind. Gleichzeitig ist bekanntermaßen der Heizwert im Müll von den enthaltenen Wertstoffen abhängig. Mehr als 80 % des Heizwertes basieren auf den recycelbaren Materialien Papier und Kunststoff, wodurch eine Konkurrenzsituation zur stofflichen Verwertung entsteht.
In der Studie wird dargelegt, dass Überkapazitäten auf dem Verbrennungssektor zu massiven Änderungen der Stoffströme führen und damit die Kreislaufführung von wichtigen Materialien als Sekundärrohstoff verhindert wird. Gleichzeitig werden auch Alternativen aufgezeigt, wie ein echtes Stoffstrom-Management Kreisläufe schließen kann.
Zunächst jedoch werden die jeweiligen Abfälle charakterisiert sowie die Behandlungskapazitäten, die Marktteilnehmer und die Stoffströme bilanziert. Ein Gesamtbild wird für die Bundesrepublik Deutschland erstellt und dargelegt, wie sich die thermischen Verfahren gegenseitig beeinflussen, durch Überkapazität ein Druck auf Umweltstandards entsteht und ferner wie spezifische Abfallfraktionen durch den Bau von EBS-Anlagen in ihrer Zusammensetzung beeinflusst werden. Es zeigt sich, dass ein umfassender Ausbau von EBS-Anlagen volkswirtschaftlich ruinös ist. Auf diese Weise verhindern wenig wertschöpfende Prozesse, die massive Umweltbeeinträchtigungen verursachen können, echte Kreislaufsysteme, die wertvolle Rohstoffe erhalten.
Die Leistung der Studie ist es jedoch auch, Müllverbrennungsanlagen und Ersatzbrennstoffkraftwerke in einen gesamten Energiekontext zu setzen, die Energieerzeugung in Deutschland insgesamt zu betrachten und die verschiedenen Beiträge unterschiedlicher Energieerzeugung in einem umfassenden Bild darzustellen. Wenn die Menschheit mit einer Bevölkerung von 10 Milliarden Menschen auf Dauer menschenwürdig auf dem Planeten leben will, sind Ersatzbrennstoffkraftwerke sicherlich der falsche Weg. Nur echte Kreislaufsysteme erlauben eine hohe, permanent wachsende Bevölkerungszahl, weil nur so alle technischen und biologischen Nährstoffe wieder zur Verfügung gestellt werden. In einem ausführlichen Kapitel wird deshalb auch das Cradle to Cradle® SM-Konzept (von der Wiege zur Wiege) vorgestellt, eine grundlegend neue Herangehensweise zur Herstellung ökologisch intelligenter Produkte, die zu einer umfassenden Produktqualität führt und eine nahezu 100prozentige Rückgewinnung aller Inhaltsstoffe ermöglicht – anstatt diese als Abfall zu deponieren, zu verbrennen oder geringwertiger zu recyceln. Produkte und Materialien können als „technische“ oder biologische Nährstoffe in Kreisläufen zirkulieren – von der Wiege zur Wiege – und nahezu unbegrenzt wiederverwendet werden – ein enormer ökonomischer Vorteil mit gleichzeitig positiven Effekten für Umwelt und Gesundheit. In den USA wird das Cradle to Cradle® SM-Konzept bereits in größerem Stil angewendet. In Europa sind die Niederlande auf dem Weg, zum ersten Cradle to Cradle®-Land zu werden. Unternehmen wie Philips, Akzo, DSM, aber auch Institutionen wie TNO, Royal Haskoning, SenterNovem und die Region Limburg sind dabei Kreisläufe für biologische und technische Nährstoffe zu schließen. In Deutschland gibt es immer mehr Aktivitäten. Selbst Taiwan oder China machen erste Schritte auf diesem Weg zur Öko-Effektivität.
So entsteht eine positive Agenda, die Re-Materialisierung statt De-Materialisierung beinhaltet. Durch „intelligente Verschwendung“ nach dem Cradle to Cradle® SM -Ansatz muss der ökologische Fußabdruck der Menschen nicht kleiner, sondern größer werden. Alles neu zu erfinden, so dass es umfassend förderlich ist, befreit Kreativität, bedeutet Wettbewerbsvorsprung und sorgt dafür, dass die anderen Lebewesen sich freuen, dass die Menschen gibt.
Um jedoch handeln zu können, müssen zunächst einmal alle Karten auf den Tisch, so dass eine Gestaltung der Stoffströme möglich ist. Wie die Untersuchung zeigt, gibt es noch immer Mängel in der Datenqualität: Eine Bestandsaufnahme ist in einigen Bereichen nur unvollständig möglich. Dennoch ist klar: Ersatzbrennstoffanlagen in der vorgesehenen Weise und in dem jetzigen Umfang sind eine Sackgasse, ähnlich wie Biodiesel aus Palmöl.
Die vorliegende Studie soll jedoch Mut machen, Gestaltungswillen zu entwickeln und Stoffkreisläufe zu schließen. So wird nicht nur das Energieproblem lösbar, sondern vor allem auch der drohende Rohstoffmangel.